Was bedeutet Neurodiversität?
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Die Neurologie (altgriechisch νεῦρον neuron, deutsch ‚Nerv‘ und –logie ‚Lehre‘) als Wissenschaft und Lehre vom Nervensystem ist ein Teilgebiet der Medizin;
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Diversität (lateinisch diversitas – „Verschiedenheit“ bzw. „Unterschied“) wird in der vorliegenden Verbindung zur Neurodiversität und meint die neurologische Vielfalt.
 
In unserer Welt gibt es eine große Vielfalt von Menschen. Jeder von uns ist einzigartig und hat individuelle Eigenschaften und Fähigkeiten. Manche Menschen haben jedoch Unterschiede, die in bestimmten Bereichen stärker ausgeprägt sind. Diese Unterschiede können genetische, neurologische oder psychische Ursachen haben. In diesem Blogbeitrag werden wir uns damit beschäftigen, wie diese Unterschiede in verschiedene Stufen eingeteilt werden können und warum es wichtig ist, diese Stufen nacheinander zu untersuchen, um genaue Diagnosen zu stellen und einen richtigen Umgang mit der betreffenden Person zu finden.
Stufe 1: Genetische Anomalien
Genetische Anomalien beziehen sich auf Veränderungen im Erbgut, der DNA eines Menschen und sind vererbbar. Diese Veränderungen können zu besonderen Merkmalen oder körperlichen Unterschieden führen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Down-Syndrom, bei dem eine zusätzliche Kopie des Chromosoms 21 vorliegt. Menschen mit genetischen Anomalien können einzigartige Fähigkeiten und Bedürfnisse haben, die spezifische Unterstützung erfordern.
Stufe 2: Neurologische Anomalien
Neurologische Anomalien betreffen das Gehirn und seine Funktionen. Neurologische Anomalien können auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein, darunter häufig genetische Faktoren, aber auch Umweltfaktoren, Hirnverletzungen oder Entwicklungsstörungen. Während einige neurologische Unterschiede genetisch bedingt sein können, können andere durch Faktoren während der Schwangerschaft, Geburt oder im frühen Leben beeinflusst werden. Sie können zu Unterschieden in der Art und Weise führen, wie Menschen denken, wahrnehmen und interagieren. Autismus, Epilepsie, ADHS oder das Tourette-Syndrom sind Beispiele für neurologische Unterschiede. Menschen mit neurologischen Anomalien können Schwierigkeiten oder Stärken in verschiedenen Bereichen haben, wie zum Beispiel in der sozialen Interaktion, der Aufmerksamkeit oder der Motorik.
Stufe 3: Psychische Anomalien
Psychische Anomalien beziehen sich auf Unterschiede im emotionalen und psychischen Zustand eines Menschen. Schizophrenie und Depression sind Beispiele für psychische Störungen. Menschen mit psychischen Anomalien können Herausforderungen im Denken, Fühlen und Verhalten haben, die ihre Lebensqualität beeinflussen können.
Warum ist die Untersuchung in aufeinanderfolgenden Stufen wichtig?
Es ist wichtig, genetische Anomalien, neurologische Anomalien und psychische Anomalien in aufeinanderfolgenden Stufen zu untersuchen, um genaue Diagnosen zu stellen. Jede Stufe bietet ein Verständnis für unterschiedliche Aspekte der individuellen Unterschiede eines Menschen. Wenn wir nicht alle Stufen untersuchen, können Fehldiagnosen entstehen und angemessene Unterstützung und Interventionen können möglicherweise nicht bereitgestellt werden.
„Your genetics load the gun. Your lifestyle pulls the trigger“
So erfordern psychische Anomalien andere Behandlung oder Fürsorge wenn ihr genetische oder neurologische Ursachen zugrunde liegen. Es gilt also stufenweise bei den grundlegenden Anomalien mit der individuellen Suche zu beginnen, da eine Auslassung schwerwiegende Folgen haben kann. So sind unentdeckte Neurodiversitäten ein häufiger Grund für Fehldiagnosen wie Depressionen, Narzisstische oder Schizoide Persönlichkeitsstörungen. Denn was passiert mit einem Menschen der laufend Missverstanden wird und irgendwann daran verzweifelt. Leider ist es für die meisten Menschen leichter zu sagen jemand ist psychisch krank, ein Psycho, gestört oder ähnliches als sich mit seiner Andersartigkeit auseinanderzusetzen. Sie üben, wenn auch nicht absichtlich, psychische Gewalt aus gegenüber den Betroffenen.
Denn es ist einfacher jemanden zu verurteilen, als sich selber zu bilden.
Es ist wichtig zu beachten, dass Unterschiede in einer Stufe nicht unbedingt in einer anderen Stufe vorhanden sein müssen. Jeder Mensch ist einzigartig, und nicht alle Unterschiede lassen sich in einem bestimmten Rahmen klassifizieren. Die Vielfalt der menschlichen Erfahrungen und Merkmale ist komplex und sollte mit Respekt und Offenheit betrachtet werden. Neurodiversität ist ein wissenschaftliches Konzept, das die Vielfalt der menschlichen Gehirne und neurologischen Funktionen anerkennt. Es besagt, dass es keine „normale“ oder „abweichende“ Gehirnfunktion gibt, sondern dass die menschliche Neurologie auf einem Kontinuum liegt, das eine breite Palette von Variationen und Unterschieden umfasst. Diese Variationen können sich in Bereichen wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, kognitiven Fähigkeiten und sozialer Interaktion manifestieren. Neurodiversität betrachtet diese Unterschiede nicht als Defizite oder Störungen, sondern als natürlichen Teil der menschlichen Vielfalt und als Quelle von Stärken und Fähigkeiten.
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Autismus – Soziale Interaktionsprobleme, repetitive Verhaltensmuster
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ADHS – Aufmerksamkeitsprobleme, Hyperaktivität, Impulsivität
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Dyslexie – Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben
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Dyskalkulie – Schwierigkeiten im mathematischen Bereich
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Asperger-Syndrom – Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, spezielle Interessen
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Tourette-Syndrom – Tics, unwillkürliche Bewegungen oder Äußerungen
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Dyspraxie – Probleme mit der Koordination und Feinmotorik
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Synästhesie – Verknüpfung von Sinneswahrnehmungen
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Fetales Alkoholspektrum-Störung – Beeinträchtigungen durch pränatalen Alkoholkonsum
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Legasthenie – Schwierigkeiten beim Lesen, Rechtschreibung oder Schreiben
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Phänomenale Feldtheorie – Empfindlichkeit gegenüber Reizen und Emotionen
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Pathologische Demand-Vermeidung – Angst vor Anforderungen und Kontrolle
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Nonverbale Lernstörung – Schwierigkeiten in der nonverbalen Kommunikation
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Geschichteten Divergenzdefekt – Schwierigkeiten beim Verarbeiten und Integrieren von Informationen
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Sensory Processing Disorder – Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen
 
Bitte beachten Sie, dass dies nur eine Auswahl neurodiverser Erscheinungsformen ist, dies nur knappe stichwortartige Erklärungen sind und die genauen Merkmale und Auswirkungen der einzelnen neurodiversen Zustände komplexer sein können.
Stellen wir zwei Menschen nebeneinander. Einer ist körperlich beeinträchtigt, der andere neurologisch. Während beide als Menschen mit besonderen Bedürfnissen gelten können, erfährt oft nur einer die Rücksicht und Akzeptanz, welche für beide angebracht sein würde. Denn obwohl jedes Miteinander auf Achtsamkeit beruht, sind diese Menschen bedeutend mehr darauf angewiesen. Und vielen von ihnen sieht man es eben nicht sofort an! 0,5% der Bevölkerung sitzen zB im Rollstuhl. 35 bis 50% der Bevölkerung sind neurodivers. 50 bis 100 mal so viele, doch kann man es ihnen eben oft nicht ansehen…

Autismus zum Beispiel, ist eine neuronale Andersartigkeit des Gehirns, die sich auf viele Bereiche des Lebens auswirken kann. Menschen mit Autismus haben oft Schwierigkeiten, soziale Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten, Schwierigkeiten in der Kommunikation und oft repetitive und routinierte Verhaltensweisen. Autismus ist eine sogenannte „Spektrumstörung“, was bedeutet, dass die Symptome und Schweregrade von Person zu Person unterschiedlich sein können.
Eine der häufigsten Herausforderungen bei Autismus ist die Schwierigkeit, soziale Interaktionen zu verstehen und zu navigieren. Menschen mit dieser Neurodiversität können es schwer finden, die Bedeutung von Gesichtsausdrücken, Körpersprache und Stimme zu verstehen und zu interpretieren. Sie können Schwierigkeiten haben, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten oder Freundschaften aufzubauen. Routiniertes Verhalten, Ticks oder besondere Interessen sind ebenfalls häufige Merkmale. Manche können sich stark auf ein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Aktivität konzentrieren und diese für lange Zeit verfolgen. Andere können repetitive Verhaltensweisen wie Handflattern oder ein Wippen mit Teilen des Körpers zeigen. Maskierte Autisten werden meist sehr spät (wenn überhaupt) diagnostiziert. Sie lernen sich den Erwartungen der Gesellschaft oder ihres Umfeldes anzupassen um „normal“ zu wirken und Anschluss zu finden. Leider ist die intuitive Ablehnung von vielerlei Andersartigkeit heute immer noch weit verbreitet. Maskierte Autisten haben gelernt ihre natürlichen Verhaltensweisen zu unterdrücken. Dadurch wirken sie oft sehr kontrolliert und ruhig, was auch manchmal uninteressiert, distanziert oder kalt wirken kann. Die dauernde Kontrolle über Körper und Geist bewusst aufrecht zu erhalten kostet viel Energie und mentale Anstrengung, weshalb diese Menschen auch viel Zeit und Ruhe zur Regeneration benötigen. Aufgrund der steigenden Zahlen in diesem Bereich gibt es zu dem Thema einen eigenen Blogeintrag.
Ein weiteres häufiges Merkmal von Neurodiversitäten ist die Schwierigkeit in der Kommunikation, der Sprache oder dem Rechnen wie z.B. die Dyskalkulie und die Legasthenie. Einige neurodiverse Menschen haben Schwierigkeiten, ihr Zahlenverständnis zu entwickeln und zu nutzen, während andere Schwierigkeiten haben, abstrakte Sprache oder Sarkasmus zu verstehen. Andere haben Schwierigkeiten, ihre Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen und ihre Bedürfnisse und Wünsche auszudrücken.
Es ist wichtig zu betonen, dass Neurodiversitäten keine Krankheiten sind und dass Menschen mit einer Neurodiversität nicht „geheilt“ werden müssen.

Vielmehr geht es darum, sie in einer inklusiven Gesellschaft zu unterstützen, in der sie Zugang zu angemessenen Ressourcen und Unterstützung haben, um ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten zu fördern.
Inklusion bedeutet, dass alle Menschen, unabhängig von ihren Unterschieden, in einer Gesellschaft vollständig integriert und akzeptiert werden sollten. Für Menschen mit neurodiversen Veranlagungen bedeutet dies, dass sie Zugang zu Bildung, Arbeitsplätzen und anderen wichtigen Ressourcen haben sollten, die ihnen helfen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und ein erfülltes Leben zu führen. Man muss ihnen zuhören, nachfragen und lernen zu verstehen wo unterstützt werden kann. Die Bedürfnisse zum Vorschein bringen, die auf den ersten Blick nicht wahrgenommen werden.
An dieser Stelle soll daran Erinnert werden, welche großartigen Menschen trotz, oder eben gerade wegen ihrer genetischen Andersartigkeit, wertvolle Beiträge für die gesamte Menschheit geleistet haben:
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Albert Einstein – Hochintelligent und oft als „exzentrisch“ angesehen, möglicherweise mit Asperger-Syndrom.
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Temple Grandin – Autistische Aktivistin, Schriftstellerin und Pionierin in der Tierwissenschaft.
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Vincent van Gogh – Genie der Malerei.
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Nikola Tesla – Visionärer Erfinder und Wissenschaftler, möglicherweise mit Zwangs- und Autismus-Spektrum-Eigenschaften.
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Ada Lovelace – Mathematikerin und erste Programmiererin der Welt, möglicherweise mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).
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Emily Dickinson – Berühmte Dichterin mit sozialer Isolation, oft mit sozialer Angst oder Autismus-Spektrum-Eigenschaften assoziiert.
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Stephen Hawking – Theoretischer Physiker, der trotz fortschreitender Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) bedeutende wissenschaftliche Beiträge leistete.
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Elon Musk – Visionärer Unternehmer und Ingenieur, mutmaslich mit Asperger-Syndrom diagnostiziert.
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Greta Thunberg – Klimaaktivistin und inspirierende Stimme für den Umweltschutz, offen über ihre Diagnose des Asperger-Syndroms sprechend.
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Sir Isaac Newton – Renommierter Physiker und Mathematiker, der als einer der Begründer der modernen Physik gilt, wurde mit möglichen Anzeichen des Autismus in Verbindung gebracht.
 
Durch die rasante Entwicklung der Forschung im neurodiversen Bereich kann die Suche nach Fachärzten, sowie geeigneten Therapeuten, viel Zeit in Anspruch nehmen. Zeit, die es wert ist!
Abschließend lässt sich sagen, dass genetische und insbesondere neurologische Veränderungen eng mit Darwins Evolutionstheorie verbunden sind und Teil des natürlichen evolutionären Prozesses sind. Die Vielfalt der Neurodiversitäten trägt zur Anpassungsfähigkeit und Weiterentwicklung der menschlichen Spezies bei. Ohne diese Unterschiede und Variationen würden wir als Gesellschaft an Innovation und Fortschritt stagnieren. Indem wir die Vielfalt der menschlichen Erfahrungen und Fähigkeiten akzeptieren und schätzen, können wir eine inklusivere und gerechtere Welt schaffen, in der jede Person ihre Stärken entfalten kann. Die Anerkennung und Unterstützung von Neurodiversität ist nicht nur wichtig für individuelles Wohlbefinden, sondern auch für die gesamte Menschheit, um sich weiterzuentwickeln und voranzuschreiten.
Etwa ein Drittel bzw. die Hälfte der Bevölkerung ist neurodivergent, da Menschen mit klinischen Diagnosen wie Autismus, Legasthenie, Dyspraxie, Tourette-Syndrom und ADHS unter diesen Oberbegriff fallen. Laut Studien wird bei jedem sechsten Kind und bei jedem dritten Erwachsenen entweder bewusste oder unbewusste Neurodiversität festgestellt. Dennoch werden Abweichungen von dem typischen Gehirnverhalten der Bevölkerungsmehrheit leider immer noch oft negativ konnotiert, das heißt als schlecht oder krankhaft bewertet. Dies ist ein guter Zeitpunkt für alle, die im Bildungsbereich tätig sind, um zu verstehen, was Neurodiversität für das Klassenzimmer, das Lernen und die Integration bedeutet, da vor allem die Kleinsten unter uns besondere Unterstützung benötigen!
Der Schlüssel zur Akzeptanz ist Verständnis.
Wenn man jemanden nicht versteht, kann man ihn auch nicht vollständig akzeptieren: Man kann nicht akzeptieren, was man nicht versteht…
Alle Schulen und Arbeitsstätten sind neurodivers: In allen gibt es Kinder und Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Bedürfnissen. Lehrer wie auch Arbeitgeber müssen das begreifen. Der Blindflug unseres aktuellen Bildungssystems sowie der diesbezüglichen Unbildung des Lehrpersonals ist erschreckend und bedenklich, während die Zahl der maskierten Autisten in der Arbeitswelt stetig ansteigt!
Hoffentlich kann dieser Blog ein wenig zum Denken anregen!
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